Die Berufsfeuerwehr der Stadt Kassel schildert in ihrem Bericht die Vorfälle vom 6. November 2023. „Gegen 12:59 Uhr gingen mehrere Notrufe bei der Leitstelle der Berufsfeuerwehr Kassel ein, dass in der Kirche St. Elisabeth am Friedrichsplatz in Kassel das gesamte Kirchendach eingestürzt sein soll. Aussagen zu verletzten Personen im Gebäude konnten durch die Anrufer nicht getroffen werden. Der Rüstzug der Feuerwehr Kassel traf wenige Minuten später ein und erkundete die Lage. Vor Ort bestätigte sich die Alarmmeldung. Für die Feuerwehr stellte sich die Lage in der Form dar, dass das Dach auf der gesamten Gebäudelänge eingestürzt war. In dem Kirchenraum befand sich eine männliche, leichtverletzte Person, die von den Rettungskräften in Sicherheit gebracht und im Rettungswagen ärztlich versorgt wurde. Die Feuerwehr sicherte die Einsatzstelle weiträumig ab und veranlasste auch, die benachbarte Frankfurter Straße einseitig stadteinwärts zu sperren. Im Zuge der Sicherungsmaßnahmen wurden 2 weitere Personen und ein Hund aus einer angrenzenden Wohnung in Sicherheit gebracht. Gemeinsam mit Baustatikern vor Ort wurde dann versucht, Abschätzungen über die Stabilität des Gebäudes an sich und die noch stehenden Außenmauern zu treffen. Parallel zu den Erkundungs- und Prüfmaßnahmen wurden durch die Feuerwehr lose Dach- und Tragwerksteile, die abzustürzen drohten, mit Hilfe einer Drehleiter und dem Arbeitskorb des Feuerwehrkranes der Berufsfeuerwehr Kassel, entfernt. Ebenso mussten Teile eines angrenzenden Schornsteins abgetragen werden. Im weiteren Einsatzverlauf stellte sich glücklicherweise heraus, dass an der Einsatzstelle keine weiteren Personen zu Schaden gekommen waren. Durch die an der Einsatzstelle eingebundenen Statiker sowie den Fachberater Bau des Technischen Hilfswerks konnte festgestellt werden, dass eine weitere Schadensausbreitung nicht zu erwarten ist und somit die benachbarte Straße wieder freigegeben werden konnte. Aufgrund der vorliegenden Schadenslage können jedoch die Kirche sowie die angrenzenden Büro- und Wohnräume bis auf Weiteres nicht betreten werden. Auch wurde ein Sicherheitsbereich rund um die Kirche abgesperrt, der in den nächsten Tagen nicht betreten werden kann. Die Feuerwehr Kassel war mit rd. 45 Einsatzkräften vor Ort. Die Schadenshöhe kann derzeit nicht beziffert werden. Das Kirchengebäude an sich, die Einrichtung sowie die darin befindliche Orgel sind jedoch schwer beschädigt. Eine Ursache für den Einsturz muss durch Fachkräfte in den folgenden Tagen untersucht werden. Die Feuerwehr Kassel war während des Einsatzes zusätzlich besonders gefordert, da parallel zu diesem Einsatz noch weitere Einsätze wie beispielsweise zwei gemeldete Wohnungsbrände abzuarbeiten waren.“
Pfarrer André Lemmer: „Die Mitglieder unserer Gemeinde haben seit vorletztem Montag enormes geleistet und ich bin froh, sie jetzt als Pfarrer auch wieder vor Ort und nicht nur über das Telefon unterstützten zu können. Auch als Seelsorger für die Menschen, die das Unglück miterlebt haben und Menschen, die um das Gebäude als langjährige Heimat trauern. Es gibt viele Gemeindemitglieder, die diese Kirche mit gebaut haben und hier seit über 70 Jahren ihr kirchliches und spirituelles Zuhause hatten.“
Wenige Stunden nach dem Einsturz des Daches der Elisabethkirche haben sich Fuldas Bischof Dr. Michael Gerber, Generalvikar Prälat Christof Steinert und Diözesanbaumeister Martin Matl vor Ort ein Bild von der aktuellen Situation gemacht. Bei ihrem Solidaritätsbesuch brachten sie ihre Verbundenheit und Nähe zu den Menschen in der Pfarrgemeinde St. Elisabeth und dem besonderen Kirchort im Zentrum der Kasseler Innenstadt zum Ausdruck. „Wir sind vor allem froh und dankbar, dass niemand verletzt wurde“, betonten Bischof Dr. Michael Gerber, Generalvikar Prälat Christof Steinert und der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrates der Pfarrei St. Elisabeth, Franz Bartmann, beim gemeinsamen Besuch der Elisabethkirche am Kasseler Friedrichsplatz. Per Handy live dazugeschaltet war Pfarrer André Lemmer, der sich aktuell mit einer Gruppe auf einer Bildungsreise im Ausland befindet. Auch er zeigte sich tief betroffen von den Bildern der Zerstörung und gleichzeitig dankbar für das Engagement der Helfer vor Ort sowie die breite Unterstützung und Solidarität aus der Kasseler Gesellschaft.
Zu den ersten die ihr Mitgefühl ausgedrückt und konkrete Unterstützung angeboten hatten, gehörten die Schwestern und Brüder der evangelischen Kirche in Kassel. Beim gemeinsamen Ortsbesuch am Friedrichsplatz am Dienstagvormittag drückte die Dekanin des evangelischen Stadtkirchenkreises Kassel, Barbara Heinrich, dies auch noch einmal persönlich aus.
Bischof Gerber machte deutlich, dass es nun zuerst vor allem darum gehe, den Menschen in der Kirchengemeinde und weiteren, für die der Kirchort wichtig ist, Mut zu machen und ihnen Verbundenheit zu signalisieren. „An der Kirche hängen viele Erinnerungen und Emotionen“, betonte Gerber, der Ende der kommenden Woche auch zum Elisabethtag in Kassel kommen wird. Er selbst hat die Elisabethkirche zum Beispiel stark als Obdach für Künstlerinnen in Künstler in Erinnerung, die dort in einer frühen Phase der Corona-Pandemie mit ausreichend Abstand proben und ihre Werke zeigen konnten.
In einem Brief wandte sich nach dem Einsturz von Bischof Dr. Michael Gerber an die Katholikinnen und Katholiken in Kassel. Darin schrieb er u.a.: „Für viele von Ihnen ist die Elisabethkirche eine Heimat, für noch mehr Personen – auch für mich persönlich – ist der Kirchenraum mit sehr wertvollen Erfahrungen verbunden. Auch vor diesem Hintergrund sind die jetzigen Bilder sehr schmerzlich. Manches scheint unwiderruflich verloren, insbesondere die Orgel mit ihrem herausragenden Stellenwert in der hessischen Orgellandschaft. Dankbar verbunden bin ich all jenen, die sich derzeit an der Unglücksstelle in verschiedener Weise engagieren. Zugleich danken wir unseren evangelischen Geschwistern für die verschiedenen Zeichen der Solidarität und konkreten Hilfe. (…) Wir sind hier aufs Neue auf einen langen Atem angewiesen: der Solidarität, der geschwisterlichen Verbundenheit sowie angesichts so vieler Spannungen auf einen langen Atem des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. (…)“
Nachdem das Kirchendach komplett eingestürzt war, konnte kurzfristig ein Notdach installiert werden. Dafür wurde zunächst ein tragendes Gerüst erstellt, ein Fundament für den Drehschwenkkrahn gegossen und schließlich fahrbare Dachelemente hochgezogen und befestigt. Sie überspannen jeweils 20 Meter und werden durch weitere Gerüstelemente und Planen verbunden. So wird gewährleistet, dass der Innenraum provisorisch vor Regen und Schnee geschützt werden und gleichzeitig die Sicherung und Demontage des Daches möglich waren.
Nach dem Einsturz des Daches der Elisabethkirche in Kassel liegt nun das Gutachten zur Unglücks-Ursache vor. Laut Darstellung der Ingenieure führte ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren dazu, dass die tragende Dachkonstruktion des Kirchbaus von 1959 / 1960 im November 2023 überraschend zusammenbrach. Vorab erkennbar waren diese Schäden nicht. Aktuell arbeiten die Kirchengemeinde St. Elisabeth und das Bistum Fulda gemeinsam an einer Perspektive für den Kirchort am Friedrichsplatz. Eine breit angelegte Online-Umfrage soll dabei helfen, Ideen zur Zukunft der Elisabethkirche zu finden.
Völlig überraschend ist am 6. November 2023 – einem Montag – gegen 13 Uhr das Dach der Elisabethkirche am Friedrichsplatz in Kassel eingestürzt. Die Konstruktion fiel auf voller Länge in das Kirchenschiff, verletzt wurde dabei glücklicherweise niemand. Hinweise auf Schäden gab es vorher nicht.
Da unter den schräg im Kirchenschiff liegenden Dachtrümmern jederzeit weitere Einsturzgefahr bestand, mussten die Teile zuerst von spezialisierten Industriekletterern gesichert, mühsam in Einzelteile zerlegt und schließlich mit aufwändigen Seilkonstruktionen geborgen werden. Erst danach konnten externe Bauexperten die Trümmer auf eine mögliche Schadensursache hin genau überprüfen. Parallel wurden im Labor Proben des seinerzeit verwendeten Leimes untersucht und verschiedenste Berechnungen erstellt.
Mehrere Ursachen
„Der Einsturz lässt sich nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen“, heißt es nun in dem Gutachten der Firma „HAZ - Beratende Ingenieure für das Bauwesen“. Die verschiedenen Ursachen seien vorab auch nicht erkennbar gewesen, betont der geschäftsführende Gesellschafter, Dr. Ing. Ulrich Huster. „Die 63-jährige Standzeit ohne ein besonderes Lastereignis zum Einsturzzeitpunkt lässt den Schluss zu, dass es einen Schadensfortschritt im Laufe der Standzeit gab. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Tragfähigkeit nicht mehr ausreichend war“, heißt es dazu zusammenfassend in dem Gutachten.
Die tragende Dachkonstruktion bestand aus geleimten Satteldachbindern, so genannten Wolff-Stegbindern. Dabei wurden einzelne Elemente von bis zu fünf Metern Länge über so genannte Generalkeilzinkenverbindungen zu längeren Gesamtträgern zusammengefügt. Spitze Dreiecke greifen dabei im Holz ähnlich wie gefaltete Hände ineinander. Verleimt waren diese Verbindungen mit Harnstoff (UF)-Klebstoff. Nach dem Einsturz zeigte sich, dass diese tragenden Holzteile jeweils in einer der Generalkeilzinkenverbindungen rechts oder links des Firstes gebrochen waren.
Neue Erkenntnisse
Das Gutachten nennt mehrere Hauptursachen für den Einsturz des Daches: Zum einen wurden die Verbindungen im Firstbereich aus heutiger Sicht zur Bauzeit mangelhaft ausgeführt. Zudem müssten die Träger nach dem heutigen Stand der Technik größer dimensioniert sein, als es den Normen der Bauzeit entsprach. Hinzu kommt, dass über Jahrzehnte hinweg witterungs- und konstruktionsbedingte Zusatz-Spannungen in der Dachkonstruktion auftraten – vor allem wegen der vergleichsweise festen Verbindungen zwischen Dachbinder und Stützen. Stützenkopfverformungen etwa durch Wind oder Temperaturunterschiede zwischen Innen und Außen lösten in den Bindern niederzyklische Zusatzspannungen aus, so die Gutachter.
Auch der nachträgliche Dachaufbau aus Anfang der 1980er Jahre hat zu einer dauerhaften Lasterhöhung geführt. Zusätzlich verlor der verwendete Leim im Laufe der Zeit seine Festigkeit aufgrund von Schrumpfung während der Herstellung oder klimatischen Einflüssen während der Standzeit. Die Generalkeilzinkenstöße in Firstnähe öffneten sich über die Zeit wie ein Reißverschluss von unten nach oben und verloren so ihre Tragfähigkeit.
Blick in die Zukunft
Auch wenn die Dachtrümmer mittlerweile aus dem Kirchenschiff geborgen sind, ist die Elisabethkirche weiterhin eine Baustelle. Ein Gerüst rund um die Kirche trägt ein Notdach, das den Innenraum und die beschädigte Orgel vor weiteren Witterungseinflüssen schützt. Aktuell laufen Überlegungen, dieses Notdach durch ein festeres Provisorium zu ersetzen, unter dem der Kirchenraum vorerst wieder genutzt werden kann, erklärt Diözesanbaumeister Martin Matl.
Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Pfarrei St. Elisabeth und des Bistums Fulda arbeitet derweil gemeinsam an einer langfristigen Perspektive für den Kirchort. Dabei sollen auch unterschiedliche Ideen und Anregungen der Bevölkerung mit einbezogen werden, betont Andre´ Lemmer, leitender Pfarrer der Pfarrei St. Elisabeth. Zur Teilnahme an einer kurzen anonymen Umfrage eingeladen sind daher neben Gemeindemitgliedern ausdrücklich auch nicht kirchlich gebundene Personen.
Die Auswertung der
Ergebnisse soll im September veröffentlicht werden. Die Umfrage und weitere Informationen
gibt es im Internet unter:
www.zukunft-elisabethkirche.de
Alle Fotos: Bistum Fulda / Kerstin Leitschuh. Bildzeilen:
(1) Der Kirchenraum der
Elisabethkirche ist auch nach den Aufräumarbeiten eine Baustelle.
(2) Elisabethkirche Kassel: Blick auf die beim Dacheinsturz zerstörte Orgel.
(3) Holzträger am Boden der
Elisabethkirche in Kassel.